Di. Mrz 19th, 2024

Wörter: 1784; Linkslevel: -3 ; Rechte
In einer Fernsehsendung (Markus Lanz) um die ausländerfeindlichen Einlassungen des Herrn Sarrazin in der auch Michel Friedman und Rudolf Dreßler anwesend waren, wurde allen Linken offenbar, daß beide Politiker die Begriffe Integration und Assimilation nicht ordentlich erklären konnten. Das verwundert nicht, da sie ja keine Linken sind. Nichts desto trotz muß das Versäumnis nachgeholt, die erzieherische Schlappe ausgebügelt werden – hier ist der Ort dafür.

 

Was ist Integration?

Integration ist ein Grundbegriff des linken politischen Wörterbuches. Im Kampf gegen die Vorherrschaft des Kapitals, im Kampf gegen Diskriminierung und im Kampf gegen Entsolidarisierung ist Integration eine der zentralen Voraussetzungen und daher ersten zu treffenden Maßnahmen.
Bei der Integration geht es darum, gesellschaftliche Gruppen, die durch Ressentiments ausgeschlossen sind, wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu müssen nicht nur Maßnahmen ergriffen werden, die einen Ausgleich für Ungleichheit in der Rechtspraxis schaffen, die Rechtspraxis selbst – vor allem aber die Ressentiments müssen vorrangig bekämpft werden.
Bei der Integration von Ausländern (– kurz: “Integration”) gibt es prominente Mißverständnisse. Die deutsche Öffentlichkeit – die sich nebenbei bemerkt, eines rassistischen Ausländerrechts erfreut – glaubt, daß die jeweiligen Ausländer – Ethnien oder nichtchristlichen religiösen Gruppen sich selbst integrieren müßten und dazu nicht bereit wären. Diesen Zahn müssen wir hier ziehen.
 

Die Integrationsleistung – und das ist die wichtigste Botschaft des Textes – ist vollständig von der Gesellschaft zu erbringen, in welche die geächteten oder verfehmten zu integrieren sind. Sie können sich nicht selbst integrieren!
 

Verschleiertes Akzeptanzproblem

Integration von Ausländern erfordert Akzeptanz und Annahme, Verzicht auf Diskriminierung, Kampf gegen Vorurteile, Sprachlernangebote und Gleichbehandlung auch im täglichen Umgang. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, gibt es eine Abwehr der Gesellschaft, die sich selbst verschließt. Diese erzeugt dann Gegenreaktionen bei den Ausländern, welche um ihre Würde zu wahren, ein abweichendes Selbstverständnis konstruieren müssen, die von der verschlossenen Gesellschaft, aufgrund parteiischer Betrachtung, dann als „Integrationsunwilligkeit“ interpretiert wird.

Wer in eine Gesellschaft integriert werden will, ist auf guten Willen angewiesen.

Tatsache ist, daß die vielbeschworene „Bereitschaft“ Sprachen zu lernen bei den Ausländern keine Rolle spielt, da bezahlbare Sprachlernangebote in den letzten Jahren so zusammengestrichen wurden, daß nicht für jeden die Möglichkeit dazu besteht. Erst im April 2010 hat die Bundesregierung Sprachlernmöglichkeiten beschränkt. Die Ausländerfeindlichkeit der Bundesregierung zeigt sich (ähnlich dem Umgang mit Arbeitslosen) in ihrem zynischen Verhalten, die Schuld abzuwälzen und etwas zu verlangen, was nicht jedem möglich ist. Des weiteren „Integration“ zu sagen und eigentlich doch „Assimilation“ zu meinen. Die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, Ausländer zu integrieren ist also insgesamt gering. Dies wird auch durch das rassistische Ausländerrecht und einen insgesamt abschreckenden Umgang mit Ausländern unterstrichen.
 

Nähere Erläuterung

Betrachtet man die konkrete Ausprägung spezieller Ausländergruppen, fällt auf, daß einige von ihnen beispielsweise die türkische Minderheit einen verbreiteten Ablehnungskult entwickelt haben, der sich eines strengen Moralismus bedient. Das liegt daran, daß sie sich der Ablehnung, die in der Bevölkerung existiert überaus bewußt sind1. Die ablehnende Bevölkerung nutzt zur Argumentation gegen Ausländer auch wahre Tatsachen, wie z. B. die geringere Gleichberechtigung der Frauen in der türkischen Gesellschaft. Auch Ausländerfeinde, die noch nie als Feministen oder wenigstens “Frauenversteher” aufgefallen sind, verfallen diesem Argument auf magische Weise. Durch solche und andere Vorwürfe gerät die Minderheit unter Druck. Sie hat keine Chance den Druck, der von ihr feindlich gesonnenen Bevölkerungsteilen ausgeht, durch Argumente zu mildern oder gar zu entkräften, da man ihr nicht zuhört. Da sie aber ihre Würde behalten muß, ist es notwendig eine von der scheinbar vorherrschenden Meinung abweichende Version zu entwickeln. Diese folgt technisch dem Schema des Ressentiments und kann nur so aussehen, daß der Gegner verdorben und schlecht – schlecht aufgrund seiner fremden Sozialisation – ist. Der Ausländer wurde per Ressentiment zum Fremden gemacht. Das Ressentiment induziert ein entgegengesetztes beim Gegner. Die Diskriminierer fühlen sich bestätigt und “erkennen” auf “Parallelgesellschaft”. 2

 

Was ist Assimilation?

Der in der erwähnten Fernsehsendung lustiger Weise ebenfalls anwesende Arnulf Baring benannte als Ziele der Integration: “daß sie irgendwann Deutsche werden”. Dies ist ein klassischer Fall der Verwechslung von Integration mit Assimilation.
 

Assimilation bedeutet Aufnahme in die Gemeinschaft durch kulturelle Nivellierung.

Wenn ein Ausländer assimiliert wird, bedeutet das, daß er die Lebensweise der lokalen Bevölkerung und ihre Kultur annimmt. Wird Assimilation erzwungen, verstößt dies – je nach Größe der Gruppe und Gegebenheit – gegen die Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Assimiliert werden – kann auch innerhalb eines Volkes erfolgen. Es sind im Rheinland Fälle bekannt geworden, daß Zugereiste bei Einstellung in einen großen Betrieb (B*hr*nger *ngelh**m) von ihrem neuen Chef zum Auswendiglernen schlechter Musik und zur Teilnahme an Fastnachtsumzügen genötigt wurden.

Zwingt man Leute systematische Weißwurst zu essen oder lokal oder organisationsbedingt an üblichen Bierorgien teilzunehmen(Burschenschaften), ist auch das eine Art Assimilation.

Assimilation wird meistens dann erzwungen, wenn die eigene Kultur aufgrund geringer Kenntnisse anderer für überlegen gehalten wird. In der Regel hat sie bei den Betreffenden genau dann eine besonders barbarische Ausprägung (Kotzbecken für‘s Bier).

 

Der Unterschied

Eine Multikulti-Gesellschaft ist integrativ. Wenn Behinderte integriert werden sollen, verlangt man von ihnen auch nicht, alles so zu machen, wie Nichtbehinderte. Wenn Frauen gleichberechtigt (ins Berufsleben integriert) werden sollen, wird neben den ökonomischen Voraussetzungen (Kitaplätzen, Kinderurlaub und Weiterbeschäftigungsgarantie) lediglich Akzeptanz benötigt, und nicht, daß Frauen (wie in den USA) zu Männern mutieren müssen. Integration gewährt Rechte, Assimilation erkauft sie für (kulturelle) Anpassung. Wer Assimilation fordert, für den sind Grundrechte veräußerbar.

Integration bedeutet, daß man einfach überall mitmachen kann, Assimilation – daß man alles, was man machen darf und auch das, was man nicht machen darf, so machen muß, wie die bestimmende Mehrheit das für richtig oder nur üblich hält – unabhängig davon, ob die Klischees davon, was richtig und üblich ist, überhaupt der Wahrheit entsprechen.

Leider wollen viele, die „Integration“ sagen, in Wirklichkeit „Assimilation“.

 

 

Linkslevel: -1 Nichtlinke
Das Unding und der Zwang

Das eigentliche und beinahe geheimzuhaltende Unding ist – daß Assimilation eigentlich von selbst geschieht. Einfache Tatsache ist, wenn Menschen integriert sind, werden sie innerhalb einer Generation assimiliert. Sie assimilieren sich selbst.
Hierzu ein paar Grundlagen:
Vom theoretischen Standpunkt her ist Kultur austauschbar.3 Man meint vielleicht, daß kulturelle Identität wichtig wäre. Dies ist aber ein Irrtum!! tatsächlich ist nur Kultur wichtig. Und Kultur ist auch nicht beliebig. Die Kultur, die Menschen annehmen, hängt von der Produktivkraftentwicklung ab. Sie und die Art des Broterwerbs, die Produktionsverhältnisse prägen die Kultur mehr als alle Vorgaben. Computerspiele sind den jungen Deutschen heute näher als Goethe, selbst die speziellste moderne Pop-Musikrichtung näher als Beethoven. Man kann heute beobachten, daß aufgrund der Globalisierung langsam eine weltweite Mischkultur entsteht. Dabei sind der Theorie gemäß alle Kulturen mischbar, die auf dem gleichen Stand der Produktivkraftentwicklung sind oder anders ausgedrückt – alle, die größenordnungsmäßig und von der Dauer her, eine ähnliche Menge Energie verbraucht haben4.

Steht die integrierende Kultur dem Neuling aufgeschlossen gegenüber, wird er ebenfalls aufgeschlossen sein. Entsteht sogar eine Aufbruchstimmung (wie früher bei Amerikaauswanderern) kann die Assimilation auch schon mal in der nullten Generation (sofort) stattfinden. Selbstassimilation erweitert den Horizont. Die Vorteile der neuen Gesellschaft werden angenommen.
Fast jeder, der aus einer relativ rückständigen Kultur in eine energieverbrauchende moderne Kultur kommt, wird sich selbst assimilieren.

Zu einer sogenannten Identität kommt es eigentlich nur als Abwehrreaktion – genau dann, wenn eine Kultur aufgezwungen oder noch wichtiger – die Integration durch Ausländerfeinde verweigert wird. Die unter Druck geratenen oder abgelehnten sind in der Situation, daß sie sich behaupten müssen. Die Gleichheit der Situation mit den anderen in ihrer Gruppe schweißt sie zusammen.

Assimilationszwang und Ablehnung können Integration verhindern. Der Assmimilationszwang kommt dabei so zustande, daß der den Ausländer Ablehnende Assmililation fordert. Wir erkennen den Ausländerfeind daran, daß er dem Ausländer scheinbar seine eigene Identität aufzwingen will, obwohl er ihn haßt. Der Ausländerfeind fordert Assimilation, weil er haßt. Dabei kann er sich durchaus einbilden, für Integration zu sein. Die Tatsache, daß er den Ausländer verändern will, zeigt uns klar, daß er ihn nicht akzeptiert. Der Ausländer, der den ausgeübten Zwang ablehnt, gerät automatisch in die Situation, die neue Kultur abzulehnen und wird auf seine Herkunft zurückgeworfen. Dieses Schema betrifft nicht nur Ausländer, sondern alle Minderheiten.

Beispiel Türkei: In der Türkei gibt es u. a. eine riesige Minderheit – die Kurden. Sie sollen als “Bergtürken” assimiliert werden. Dazu verbietet man ihnen die Benutzung ihrer Sprache5 und das Feiern ihrer Feste. Es entsteht Widerwille. Hätten die Kurden von Anfang an Autonomierechte gehabt, wären sie heute wohl wirklich “Bergtürken”. Den Widerstand der Kurden hat man dadurch zu zerstreuen gesucht, daß man tausende von Dörfern aufgelöst und die kurdische Bevölkerung zerstreut(vertrieben) hat um der Kurdischen Arbeiterpartei PKK – der konsequentesten Vertretung der kurdischen Minderheitenrechte – das Hinterland zu nehmen. die Folge davon ist, daß sich heute 90 % der türkischen Kurden in Kurdistan mit der PKK identifizieren. Ständige Erinnerung an diese Ereignisse sind die täglichen Diskriminierungen der Kurden vor dem Recht und im Beruf. Integration wird nicht gewährt. Selbst Kurden, die zur türkischen Armee gehen, steigen dort nicht in dem Maße auf, wie Nichtkurden.
 

 

Fazit

Integration wird gewährt, Assimilation erfolgt freiwillig.
 

 

Hinweis im Umgang

Die Forderungen von Ausländerfeinden dürfen nicht ernst genommen werden! Ausländerfeinde sind unerzogen! (→ »Was ist für Linke asozial?«)

[Evariste]

 
Fußnoten

1 Die von Ausländerfeinden gern diskutierte Frage, warum es gerade die Türken, bzw. „die Moslems“ sind, gehört eigentlich nicht hierher. Ihre Beantwortung hängt mit dem Türkischen Nationalismus und dem Narzismus von Nationalisten zusammen. Die deutschen Ausländerfeinde sehen Türken vor allem als Moslems und projizieren den Versuch sich gegen Diskriminierung zu behaupten, den sie als Renitenz wahrnehmen, auf alle Moslems.
2 Die hier verständlich gemachte Ablehnung deutscher Kulturtechniken hat natürlich fatale Folgen für jeden, der trotzdem hier leben muß.
3 Im konkreten Einzelfall jedoch nicht!
4 Hier muß korrigierend angemerkt werden, daß die reichen Kulturen die Möglichkeit haben, sich bei den armen Kulturen zu bedienen. Ob Kanu, Deltasegel oder Bumerang, die reiche Kultur kann sich das beste und gefälligste aussuchen. In der armen Kultur sieht es anders aus. Nach Herstellung des Kontakts wird sich ihre Lebensweise grundlegend ändern. Durch Änderung der Produktionsmethoden – somit der Produktionsverhältnisse – wird die eigene Kultur in Teilen irrelevant und muß sich ändern. Da sich eine neue Kultur aufgrund von Ausbeutung und Verelendung nicht schnell genug bildet, verfällt die ursprüngliche Kultur ohne Ersatz. Die Ausgebeuteten übernehmen zwangsläufig Kulturelemente der reichen, die ihrem energetischen Status nicht angemessen ist. Sie können nicht sehr leicht zwischen guten und schlechten Angewohnheiten der Reichen unterscheiden, welche diese Unterscheidung eben aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Energie nicht nötig haben. Es findet also auf jeden Fall eine Vermischung statt, nur ist diese nicht unbedingt praktisch. Darüber hinaus verfallen wertvolle Kulturtechniken die für eine nichtdekadente Zukunft wichtig wären.

5 Mittlerweile hat die Politik der Europäischen Integration (Integration der Staaten) von der Türkei das Opfer gefordert, Minderheiten als solche entsprechend den Gepflogenheiten des Völkerrechts anzuerkennen. Dieser Forderung, die ein Nachgeben des Türkischen Nationalismus in einem zähen ideologischen Grabenkrieg bedeutet, kommt die Türkei sehr langsam und widerwillig nach.

Von Evariste

Ein Gedanke zu „Was ist der Unterschied zwischen Integration und Assimilation?“

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