Di. Mrz 19th, 2024

Wörter: 1931; Linkslevel: +3; Linke
Originaltitel: Zu den Ursachen des Terrors
 
Psychologisches

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Die Fragestellung
Wann existiert die Bereitschaft zum Terror(ismus)?“

beinhaltet auch zivilisatorische und psychologische Fragestellungen. Das erste Moment — die Ökonomie(und daraus folgende soziale Konsequenzen1) soll hier weggelassen werden, da sie üblicherweise genug betrachtet wird. Die folgenden Aspekte sollen den Blickwinkel weiten.

 

Einige Sätze (Thesen) voran:

  • Der Terrorismus ist ein Akt der Verzweiflung und Ausdruck nackter Existenzangst.“
  • Terrorismus ist wie der todesmutige Sprung eines in die Ecke gedrängten Tieres.“
  • Terrorismus ist charakteristisch für Schwäche und Feigheit.“

 

Diese recht bequemen Sätze tragen zwar der Tatsache Rechnung, daß einige in den hochindustrialisierten Staaten z. Z. recht bekannte Terroranschläge natürlich auch ihre Ursachen in der Globalisierung der Marktwirtschaft und des Finanzkapitals, sowie der globalen Ungleichverteilung des Reichtums haben, in ihrer Ausschließlichkeit sind sie aber falsch!

Hierzu sollen nur wenige Gegenbeispiele dienen: Zum einen soll auf die Kolonialzeit verwiesen werden, in der die Bevölkerungen ganzer Kontinente auf das rücksichtsloseste ausgebeutet und tyrannisiert – terrorisiert wurden. Die terrorisierenden Mächte waren keineswegs schwach oder feige und litten auch nicht an Existenzangst, statt von Verzweiflung wurden sie von Habgier umgetrieben. Ein zweites möglichst verschiedenes Beispiel sollen die sogenannten „roten Khmer“ sein (Es ist fast beliebig wen man nimmt.) Auch diese waren ihren Opfern keineswegs unterlegen, sondern nutzten ihre Macht aus um ihre Opfer gnadenlos zu tyrannisieren und ohne Widerspruch zu liquidieren.

 

Zu dem hier erkennbaren Widerspruch kommt es ganz offensichtlich wegen eines Fehlers in der Wahrnehmung, was eigentlich Terrorismus ist. Die jeweiligen Hegemonien haben es stets verstanden, den von ihnen selbst ausgehenden intrinsischen Terror nicht als solchen erkennbar werden zu lassen.

Beispielsweise wird der Terror gegen die kurdische Zivilbevölkerung, aber auch gegen kritische Journalisten in der Türkei von Angehörigen des sehr privilegierten Militärapparates als völlig normal betrachtet. Die Ermordung Tausender Oppositioneller während des Pinochet-Regimes von den Angehörigen der Junta und ihrer US-amerikanischen Verbündeten als notwendig zur Verteidigung des Eigentumsrechtes betrachtet. (Weitere Beispiele: Apartheid, …. – beliebig viele2 )

Dies hat verschieden Ursachen, die in Manipulationstechniken, opportunistischem Verhalten, Korruption und der Erzeugung von Schuldgefühlen gegenüber der Autorität der Macht begründet liegen, die hier aber nicht weite diskutiert werden sollen.

 

Daher nun folgende Thesen:

  • Terror ist Ausdruck von Macht.
  • Terror ist Ausdruck von Stolz und Verachtung.
  • Terror ist ein Ergebnis verletzter Eitelkeit.
  • Terror ist ein herrschaftserhaltendes Instrument.

 

Um dieses in der kurzen Zeit zu umreißen müssen vorerst einige Begriffe erklärt werden.

 

Zum einen der Begriff der Zivilisation und wie Zivilisation zustande kommt, zum anderen möchte ich einige neuere Ergebnisse zur Ursache von Gewaltbereitschaft zitieren. Schließlich soll der Versuch unternommen werden, durch eine Synthese zu einer Erklärung der Gewaltbereitschaft von Gesellschaften zu kommen. Es folgt eine Einordnung.

 

Definitionen: Zivilisation ist ein gesellschaftlicher Zustand, in dem aufgrund eines gemeinsamen Bewußtseins ein Konsens auf Gewaltverzicht herrscht, sowie das Prinzip der vorauseilenden Rücksicht angewendet wird.

In einer Zivilisation herrscht also die Vernunft. Um diese Vernunft zur Herrschaft zu bringen muß ein gesellschaftliches Bewußtsein erzeugt werden bzw. sich entwickeln.

Bewußtsein ist das Vermögen, Informationen aus der Umwelt so gut zu verarbeiten und zu bewerten, daß Information über dieses Vermögen selbst verarbeitet und bewertet werden kann. Hierdurch ist die Abgrenzung eines Selbst von der Umwelt möglich und es entsteht ein Weltbild. Dieses kann durch weitere Bewußtwerdung ständig erweitert werden.

Gesellschaftliches Bewußtsein ist diejenige Menge, an Information, derer sich alle Individuen einer Gesellschaft bewußt sind und dieses auch wissen. (Es ist stets (etwa)eine Schnittmenge der individuellen Bewußtseine.)

 

In kleineren Gruppen (Organisationen) ist das gemeinsame Bewußtsein(Schnittmenge) größer. Beispielsweise in Arbeitsgruppen und noch größer beispielsweise in einer Familie. Je kleiner die Gruppe, desto vernünftiger sind die auf sie selbst bezogenen Handlungen.

Hieraus ergibt sich das Problem, das Gesellschaftliche Bewußtsein zu steigern.

Dieses kann durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden, die in der Kultur verankert werden.

Eine Kultur, auch wenn sie hochentwickelt ist muß aber nicht zivilisiert sein. Sie kann den Gewaltverzicht und die Rücksicht auf die eigene Kultur oder sogar gestaffelt auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen beschränken. Entscheidend für uns soll sein, daß Zivilisation in ihrer Entwicklung sich von der Vernunft in persönlichen Dingen über immer größer werdende Gruppen ausbreitet und sich ein Problembewußtsein immer größerer Strukturen entwickelt.

Diese Entwicklung von Zivilisation geht einher mit der gesellschaftlichen Emanzipation von Individuen. Das läßt sich historisch belegen. Ein zusätzlicher Aspekt, der nur(um falsche Gegenbeispiele zu vermeiden) genannt werden soll, ist das Auftreten scheinbarer Emanzipation in den hochindustrialisierten Staaten.

 

Zur Gewaltbereitschaft

herrschte bis vor kurzem die Auffassung, daß Gewalttäter schwach sind, Minderwertigkeitsgefühle haben und ihre Aggressivität aus einer empfundenen Unterlegenheit entsteht. Neueste Erkenntnisse zeigen jedoch nicht nur, daß das völlig falsch ist, sondern darüber hinaus, daß Gewalttäter sich für ihren Opfern überlegen halten, und die Ursache in einer übersteigerten und verletzten bzw. mißachteten Eigenliebe liegt.3 Gewalttäter haben ein hohes Geltungsbedürfnis und kleine Verletzungen provozieren großen Haß. Psychologische Studien zeigen, daß depressive Menschen oft an einem Mangel an Selbstwertgefühl leiden und relativ selten zu Gewalt neigen. Wohingegen Psychopathen, die eine hohe Meinung von sich selbst haben, ganz besonders zu aggressivem und kriminellem Verhalten neigen. Zusammenfassen kann man das mit dem Wort Größenwahn (Spektrum der Wissenschaft). Ein wesentliches Merkmal ist ein Narzissmus, der bis ins krankhafte gesteigert sein kann. Dieser macht sie sich selbst gegenüber völlig unkritisch – selbst gegenüber Verbrechen.

Auch gewaltbereite Gruppen haben ein übersteigertes Selbstwertgefühl. (Zeitschrift) »Spektrum der Wissenschaft«: „Gewaltbereite Gruppierungen vertreten gewöhnlich eindeutige Wertsysteme, aus denen ihre Überlegenheit über andere Sozietäten klar hervorgeht. Wie der Soziologe Daniel Chirot von der Universität von Washington in Seattle in seinem Buch „Modern Tyrants“ erläutert, führen häufig stolze Nationen Krieg, die sich nicht gebührlich respektvoll behandelt fühlen.“

 

Wann entsteht wirklich Terror?

Betrachtet man also eine Gruppe von Individuen mit einem spezifischen Gruppenbewußtsein, kann dieses auf Überlegenheit ausgerichtet sein. Das ist sogar möglich, wenn die Einzelindividuen innerhalb der Gruppe schon eine gewisse Emanzipiertheit besitzen. Das Wesen der Sache besteht darin, daß die Zivilisation nicht weit genug entwickelt ist, um über den Rand der Gruppe zu treten. Häufig behindern ökonomische oder politische Schwierigkeiten einen solchen „Phasenübergang“ (zu nächst höheren Stufe, obgleich sich jenseits der Schwelle viele Probleme von selbst lösen würden. (Man denke bei Ländern mit Wasserknappheit an ein internationales Wassermanagement.) Terror tritt nun auf, wenn eine überlegene politische Organisation mit entsprechender überlegener ideologischer Ausrichtung auf eine unterlegene trifft und sich von dieser verletzt fühlt. Das ist z. B. auch möglich, wenn eine sich als zivilisiert empfindende Nation mit Forderungen von einer unterlegenen konfrontiert wird – selbst, wenn diese im Recht ist. Die Wahrnehmung, wer zivilisiert und wer Barbar ist, ist sehr subjektiv. Man stelle die Frage: „Darf man die ganz bösen Barbaren töten?“

Wer diese Frage mit ja beantwortet ist selbst einer. Nach diesem Prinzip werden aber praktisch alle gängigen Kriege geführt. Der Feind ist böse, man selbst ist immer „gut“.

Wenn man nun also wissen möchte, welche Nationen besonders barbarisch sind, muß man ihre ideologische Ausrichtung auf Überlegenheitsmerkmale abklopfen. Diese Überlegenheitsmerkmale lassen sich verschiedentlich finden. Gleichzeitig gehört hierzu eine deutliche Zurschaustellung der Überlegenheit.

Zur Zeit ist das Barbarentum der Taliban offenbar der Grund, aus dem man sie töten darf. Tatsächlich halten sie sich aufgrund ihres „rechten Glaubens“ wegen für überlegen. Außerdem schöpfen sie (die Männer) ihre Aggressivität aus der „Minderwertigkeit der Frauen“. Die Taliban vertreten ein extremistisches Patriarchat. Die Religion ist nur ein Instrument. Einen Teil ihrer Überlegenheit bei Terroranschlägen im Ausland zogen sie aus der Tatsache, daß sie sich gut verstecken konnten.

Diese Terroranschläge – auch, wenn sie mitunter außerordentlich schlimme Schäden mit vielen Opfern verursachen können – sind aber nicht der schlimmste Terror.

Der schlimmste Terror ist der Krieg. (Unter ihm hat vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden.)

Sucht man nun nach den größten Quellen des Terrors, so kann man eine Kulturanalyse betreiben, oder die Statistik bemühen. Der größte Terror geht offenbar von Staaten aus. Die USA definierten vor einigen Jahren sogenannte Schurkenstaaten. Schurkenstaaten sind Staaten, die sich nicht an Anti-Terror-Resolutionen oder Vereinbarungen halten oder selbige sogar verhindern oder den Terrorismus gar direkt befördern(Staatsterrorismus). Diese Phänomene gehen meist einher mit der Verwendung oder Lagerung und Herstellung geächteter Waffen.

In der Behandlung der Schurkenstaaten durch die USA wird jedoch nicht zwischen Terror und Krieg unterschieden. (Offenbar ziehen die USA ihr eigenes Bezugssystem heran.) So wird der Verdacht auf den Besitz bestimmter Waffen durch Bombenangriffe geahndet. Atomwaffen dürfen nur von den Staaten besessen werden, die sie schon besitzen. Der Versuch, sich welche anzueignen wird schwer bestraft. Die allerschlimmsten Schurkenstaaten entziehen sich der Internationalen Gerichtsbarkeit, mißachten das Völkerrecht, schwänzen Antiterrorismuskonferenzen, forschen trotz Ächtung an B-Waffen, machen in Kriegen Experimente an Menschen, verhindern ein Landminenverbot, testen im Krieg neue Waffen, versuchen eine absolut überlegene Waffentechnologie zu entwickeln und unverwundbar zu werden und lassen keinen Zweifel daran bei „Notwendigkeit“ auch A-Waffen einzusetzen.4

Die hier angegebenen Erklärungen sind natürlich recht psychologisch. Wichtig gerade für den Terror von Seiten Schwächerer sind natürlich ökonomische Bedürfnisse. Aber auch für den Terror von Seiten der Starken gilt das – sie betrachten die Ressourcen dieser Erde als ihr Eigentum und erwarten, daß ihre Forderungen erfüllt werden.

Tatsächlich sind die Schwachen auf dieser Erde relativ unschuldig.(Hier ist es wie mit den Arbeitslosen, die sich zum großen Teil nicht mehr für ihre Interessen einsetzen und resignieren.) Diejenigen, denen das schlimmste Los blüht, sind marginalisiert. Sie sterben zu Hunderttausenden und Millionen still an Hunger, Krankheit, Durst und Krieg. Sie haben keinen Zugang zu Medien, selten Bildung und oft keine Ahnung über die Ursachen ihres Elends. Die ganz am Anfang genannten Vorurteile sind ein Zipfel des unterdrückten schlechten Gewissens der Reichen auf dieser Welt(, zu denen in gewisser Weise auch wir linken Mitteleuropäer zählen).

 

Ökonomisches

Fügen wir die Ökonomie doch noch hinzu, stellt sich die zweite Frage,
In welcher ökonomischen Situation entsteht Terror?

Betrachten wir die Kämpfe gegen die Tamilen in Sri-Lanka, den sich langsam abschwächenden Kampf der Oranier in Irland gegen die Katholiken, Das Lynchen von Schwarzen im letzten Jahrhundert in den USA, so finden wir eine Gemeinsamkeit:
Die Emanzipation einer unterdrückten Klasse oder Ethnie und die Angst der Herrschenden vor dieser Emanzipation. Diese Angst hat Gründe, denn wenn Unterdrückte sich befreien, schrumpft der Profit der Herrschenden. Die Zeit eines sorgenfreien Lebens auf Kosten anderer ist dann vorbei. Die Unterdrückenden fühlen das sehr genau, weshalb die Unterdrückung und Abgrenzung zu ihrer Kultur gehört. Lynchen Massaker, Mißhandlungen und Erniedrigung sind auch Strategien zur Selbstvergewisserung und zur Betäubung dieser Angst.

 

Synthese

Die dritte Frage:
Wie passen die psychologische und die ökonomische Prämisse zusammen?

In der Situation schwindender Macht, wird die Befreiung von Sklaven und auch jede noch so kleine relative Freiheit der Unterdrückten als Beleidigung der Herrschenden empfunden. Eine solche Beleidigung erfordert Strafe und Abschreckung. Narißten sind (zusätzlich zu denen, die dafür bezahlt werden) die Persönlichkeiten, die diesen Terror dann freiwillig exekutieren.

Beim Terrorismus5 sieht es so aus, daß eine aus der Illegalität operierende Gruppe, die ihren relativen Narzissmus aus anderen Verhältnissen erworben hat, die Herrschenden oder den Unterdrückerapparat terrorisiert.

Terror und Terrorismus sind eine gewisse Menschenverachtung eigen. Deswegen darf Terrorismus nicht mit Freiheitskampf verwechselt werden.6

[Evariste]
 

1Wie z. B in dem Anfängerartikel »Warum gibt es Kriminalität?« beschrieben
2Es gibt viele Beispiele im Lateinamerika vergangener Jahrzehnte Beispielsweise die fast vollständige Vernichtung der Argentinischen Opposition, ihre Mitglieder wurden aus Hubschraubern ins Meer geworfen. Oder die Todesschwadronen in Brasilien, sie werden von wohlhabenden Geschäftsleuten bezahlt, die von den Kindern, die sie ermorden lassen nicht bedroht sind – man kann jegliche Terrorregime betrachten (Hitler, Stalin, Paul Pot, weniger Totalitäre: Pinochet, Duvalier, Strössner, Bocassa, … was immer einem einfällt) Der Terror agiert von einer strategisch günstigen bis komfortablen Position gegen vergleichsweise hilflose Opfer.
3Spektrum der Wissenschaft 9/2001 Roy F. Baumeister “Gewalttätig aus Größenwahn“
4Zusammenstellung aus dem Jahre 2003

Von Evariste

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