Di. Mrz 19th, 2024

Wörter: 521; Linkslevel: -1 Nichtlinke
Ich bin in der vierten Klasse hängengeblieben und wie sich herausstellte, wohl unterfordert gewesen. Daher vertrat ich als Jugendlicher die Ansicht, daß Begabtenförderung gut und notwendig sei. Fast zwei Jahrzehnte später mußte ich mich mit Bildungspolitik befassen und stellte fest, daß das Bildungssystem der kapitalistischen BRD sich in einem katastrophalen Zustand befand. Die Frage „Wie sieht eigentlich ein vernünftiges Bildungssystem aus?“, konnte nur durch einen internationalen Vergleich von Bildungssystemen beantwortet werden. Daraus folgte, daß die BRD einige der wichtigsten Parameter des Bildungssystems völlig falsch bzw. überhaupt nicht einstellte. Seit Jahren befanden sich SPD und CDU/CSU in einem Grabenkrieg um das richtige Bildungssystem, wobei am Ende die schlechten Seiten beider Modelle vereint wurden. Ganz langsam begann sich die Situation erst nach dem ersten Pisa-Test zu ändern. Dazu mußten die Streitparteien sich aus ihren Schützengräben lösen, und über den Rand des Schlachtfeldes blicken. Bis heute hält die CDU/CSU am elitären dreigliedrigen Schulsystem oder noch am zweigliedrigen System fest.
Die Beschäftigung mit dem Bildungssystem gewährte mir vor allem einen Einblick in die geistige Verfassung der Bundesbürger. So wie der katastrophale Geisteszustand der Mehrheit der Bewohner dieses Landes ist auch das Bildungssystem eingestellt. Es ist elitär und insuffizient.

Eine Analyse der Frage der Begabtenförderung ergab nun, daß man nicht die Begabten, sondern die Geringbegabten fördern muß.

Das kommt so:
Finnland – das Land mit dem erfolgreichsten Bildungssystem lehrt uns, daß schlechte Schüler gute nicht zurückwerfen. Diese Behauptung war in der BRD von den Verfechtern des Elitarismus aufgestellt worden. In Finnland gibt es extrem kleine Schulen und oft teilen sich mehrere Jahrgänge eine Klasse. Dafür helfen mitunter sogar zusätzliche Hilfslehrer. Wenn Koedukation unterschiedlicher Jahrgänge ein so großer Nachteil wäre, müßte er durch das gute Ausbildungsverhältnis wett gemacht werden und Finnland wäre wohl nicht das allerbeste Bildungsland geworden. Tatsächlich ist es aber kein Nachteil. Nachteilig wirkt nur die in der BRD vorhandene Selektion, die die Schüler im Kindesalter vor existentielle Fragen stellt und sie ideologisch zu Feinden stempelt.

Wir lernen seit der PISA-Testerei,

  • daß Schüler einander helfen können,
  • daß Kinder natürlich voneinander lernen,
  • daß die Helfer selbst von ihrer Hilfe profitieren,
  • daß Schulausfall schlecht für die schlechtesten Schüler ist
  • daß man viel mehr Schüler als in Deutschland zum Abitur führen kann

und folglich

  • nicht die guten Schüler gefördert werden müssen, sondern die schlechtesten.

– Wer hätte das gedacht?!

Das demagogische Unwort “Begabtenförderung” hinderte uns daran, diesen simplen und richtigen Gedanken ins Auge zu fassen.
Schuld daran ist das bürgerlich-kapitalistische Klassendenken, das diesen Gedanken vom zuvor gestürzten Adel übernahm und konservierte. Die Behauptung, schlechte Schüler würden gute zurückwerfen oder behindern, war nur eine willkommene unüberprüfte Ausrede der Elitaristen.
In den besten Bildungssystemen gehört gegenseitige Hilfe selbstverständlich dazu. Hierzu gehört eine solidarische Gemeinschaft.

Es ist nun an der Zeit, damit aufzuhören und der Bildungsferne den Kampf anzusagen. Das Unwort „Begabtenförderung“ ist ein Kampfbegriff gegen die Bildungsfernen.
Es erinnert uns daran, daß die Protagonisten dieses kapitalistischen Systems ja auch statt der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen bekämpfen.

Mit dieser Analyse jedoch können wir der Wahrheit die Ehre geben. Wir fördern künftig die Schwachen. Die guten Schüler braucht man nur nicht zu behindern.
[Scientist II]

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