Sa. Apr 20th, 2024

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Die Worte Klasse und Klassenkampf scheinen verpönt. Daher soll hier einmal auf die Klassengesellschaft der Bundesrepublik Deutschland (BRD) eingegangen werden, indem einfach Klassen bzw. Schichten anhand von Kriterien herausgearbeitet werden.
 

Nichtmarxistische1 Definition einer gesellschaftlichen Klasse bzw. der Klassengesellschaft

Simpel gehaltene Definition:

Eine gesellschaftliche Klasse ist eine statusbehaftete Gruppe, welcher klassenspezifische materielle Vor- oder Nachteile eigen sind. Solche Klassen müssen durch eine relative Abgegrenztheit charakterisiert sein.

  1. Es muß für die Mitglieder der Klasse klare Ansätze eines klassenspezifischen Rechts mindestens in der Rechtspraxis geben.
  2. Die relative Abgeschiedenheit muß dadurch zustandekommen, daß Mitglieder einer relativ niedrigen Klasse (mit Nachteilen) nicht in die nächsthöhere Klasse aufsteigen können und Mitglieder einer relativ höheren Klasse (mit Vorteilen) jeweils nicht absteigen wollen.

 

 
Test an der BRD

Wir kommen für die BRD nun zu einem einfachen Schichtmodell aus Klassen (und Schichten), deren Rechte und Lebensbedingungen sich wesentlich voneinander unterscheiden und deren Mitglieder ihre Klassen nicht verlassen (können).
 

Klasse der (Haupt-)Aktionäre:

Diese Klasse ist die herrschende Klasse. Sie zahlt kaum Steuern, entscheidet aber über das Fortbestehen von Unternehmen, ihre Zusammenlegung oder Neugründung. Die Hauptaktionäre üben den stärksten Einfuß auf die Gesetzgebung aus, sind Anteilseigner transnationaler Konzerne und erpressen nationale Regierungen, wie nationale Gesetzgeber. Über vielfältige Mechanismen hebeln sie die Demokratie aus. Auf sie ist der kapitalistische Staat zugeschnitten. Sie beuten alle unter ihnen stehenden aus. Wenn sie Lust hätten könnten sie ihren Reichtum verschenken, oder ein bißchen arbeiten gehen.
 

Mittelschichten (Unternehmer, obere leitende Akademiker, höhere Beamte)2:

Mitglieder der Mittelschichten werden kaum diskriminiert, empfinden das Rechtssystem als Segen. Sie streben nach oben, sind jedoch bereits Opfer der Akkumulation der allerreichsten. Sie sehen sich selbst nur als zufällig nicht zu den Superreichsten gehörend. Der wahre Grund, warum sie nicht zu den Superreichsten gehören liegt daran, daß sie kein altes Geld haben. Sie haben sich jedoch gut im System eingerichtet. Auf die Schließung großer Betriebe haben sie keinen Einfluß. Oft sind sie von Aufträgen abhängig. Sie schließen sich oft zu Lobbyverbänden zusammen. Da sie auch Eigentümer von Produktionsmitteln sind und keine Bewerbungen schreiben müssen, gehören sie im marxistischen Sinne trotz geringeren Einflusses prinzipiell noch zur herrschenden Klasse. Ihr Einfluß ist bedeutend, wenn sie sich zu Lobbygruppen zusammenschließen. Sie beuten die unter ihnen stehenden aus. Der Aufstieg in die höchste Klasse ist selten.
 

Lohnabhängig Beschäftigte:

Sie könnten theoretisch durch Spekulationsgewinne oder Lottogewinne in die Mittelschicht aufsteigen. Die Wahrscheinlichkeit ist nur extrem gering. Ehrliche Arbeit reicht jedenfalls nicht. In der Vergangenheit3 hat die BRD für diese Klasse einfache Möglichkeiten der Vermögensbildung vorgesehen. Diese wurden in den letzten Jahrzehnten stark verringert. Die Mitglieder dieser Klasse sind prinzipiell vom Abstieg bedroht. Hierdurch können sie oft zu härterer oder längerer Arbeit gezwungen werden – sie werden ausgebeutet. Sie haben durch Teilnahme an Wahlen einen formalen Einfluß auf die Politik. Ihre Zusammenschlüsse – die Gewerkschaften werden von denen der höheren Klassen bekämpft. Durch eine teilweise Aufkündigung des Klassenkompromisses von oben, wurden die Arbeitsbedingungen nach 1990 verschärft. Der Einfluß der Lohnabhängigen auf die Politik war in diesem Zeitraum gering. Sie werden ausgebeutet, da sie ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. In die nächste Klasse können sie nur mit einem Lottogewinn oder durch entsprechende Heirat aufsteigen.
 

Arbeitslose (Langzeitarbeitslose – länger als ein Jahr arbeitslos):

Es ist ihnen weder erlaubt Geld zu sparen noch Aktien zu besitzen – Vermögensbildung ist ihnen verboten. Ihre Karriere beginnt folglich mit einem Offenbarungseid der sich dann halbjährlich wiederholt. Sie leben vom Existenzminimum. Dafür müssen sie sich ständig bewerben, auch wenn überhaupt keine Chance auf Arbeit besteht. Neuere Modelle sehen seit der Schröder-Legislatur Formen staatlicher Zwangsarbeit und staatlichen Lohndumpings bzw. Zwangsprekarisierung durch Zwangsniedrigstlohnarbeit vor. Da ihnen Weiterbildung und selbst Büchergeld verwehrt wird, sind sie verurteilt, in ihrer Klasse zu verharren. Sie haben ebenfalls die Möglichkeit an Wahlen teilzunehmen. Ein Verstoß gegen die strengen Auflagen des Amtes kann von einer Sachbearbeiterin nach Ermessen ohne Gerichtsurteil durch Geldverknappung geahndet werden. Hierzu wird ins Existenzminimum hinein gekürzt. Arbeitslose sind daher strukturell einer willkürlichen Sanktionierung bei Fehlverhalten ausgesetzt.
Der Organisationsgrad der Arbeitslosen ist gering. Ohne Geld zum Reisen sind sie zum Vegetieren daheim verurteilt. Einsamkeit, Fernsehsucht, Hospitalismus, Alkoholismus, Adipositas und Antriebslosigkeit sind die Folge. Der Klassenabstieg ist eine große Gefahr. Wer mit einem Arbeitslosen schläft, riskiert, ohne notariell beglaubigte Gütertrennung, mit ihm eine „Bedarfsgemeinschaft“ bilden zu müssen und so der finanziellen Sippenhaftung anheim zu fallen. Bis auf das Wahlrecht haben Arbeitslose keinerlei Einfluß auf die Politik. Sie können nicht arbeiten und haben kaum Chancen jemals ein vernünftiges Einkommen zu erzielen. Wenn sie nicht gerade durch Ein-Euro-Jobs4 ausgebeutet werden, hat ihr Schicksal die Funktion alle noch in Arbeit befindlichen abzuschrecken. Der Klassenaufstieg ist für sie besonders schwer.
 

Obdachlose:

Es ist ihnen nicht erlaubt ein Bankkonto (außer bei der Sparkasse, welche gesetzlich nicht geschützt ist,) zu eröffnen. Ohne Konto kann kein Lohn überwiesen werden, Arbeit zu finden ist für Obdachlose extrem schwierig. – Ohne Arbeit findet man keine Wohnung. Ein Kreislauf, der die Arbeitslosen schreckt. Obdachlose leben unter dem Existenzminimum. Arztbesuche sind für die Unversicherten nur in einer rechtlichen Grauzone möglich. Der Spielraum hierfür wird von der Politik ständig verringert. Krankheiten und eine geringe Lebenserwartung prägen ihr Dasein. Von privatem Wachschutz in Fußgängerzonen, selbst von der Polizei können Obdachlose unter Rechtsbruch schon mal aus der Öffentlichkeit vertrieben werden. Da die Situation schwer erträglich ist, leidet etwa ein Drittel aller Obdachlosen an Geisteskrankheiten. Es ist selten bekannt geworden, daß ein Obdachloser sich einen Rechtsanwalt genommen hätte. Da Obdachlose kaum einen Briefkasten haben und ihr passives Wahlrecht in der Regel nicht wahrnehmen ist ihr Einfluß auf die Politik gleich Null. Eine Artikulation oder gar Vertretung eigener Rechte findet nicht statt. Wer keine Sozialhilfe mehr beantragt ist frei. Das Elend der Straße befreit von der Ausbeutung. Programme zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft existieren nicht, da ja selbst die Arbeitslosen schon ausgegrenzt werden. Obdachlose können ihre Klasse praktisch nicht mehr verlassen.
 

Ausländerklasse (mehrere Schichten5):

Diese Schichten von Illegalisierten, Asylbewerbern, geduldeten Ausländern u. a. sind in den letzten Jahren durch Abschreckung, Abschiebung, Abschottung und verweigerte Hilfeleistung (ertrinken) extrem verkleinert worden. Trotzdem sind sie als Beispiel hochinteressant, da einige von Ihnen den allerniedrigsten Rechtsstatus „genießen“. So hat ein illegal in Europa lebender Flüchtling kaum Menschenrechte. Er kann kaum zum Arzt gehen und auch nicht sicher wohnen. Er lebt in einem modernen Industriestaat offiziell kalkuliert auf „Drittweltniveau“. Ein Obdachloser hat immerhin formal das „Recht“ zum eigenen Verzehr ein Stück Kuchen zu stehlen und eine Nacht in einer Obdachlosenunterkunft zu übernachten. Der Versuch mit dem Mundraub ist für Ausländer riskant, da oft Abschiebung droht. Ausländer sind oft allein ihres Aufenthaltes wegen kriminalisiert. Wirkliche Straftaten werden von ihnen praktisch nicht begangen, da der kleinste Fehler eine todbringende Abschiebung oder „lediglich“ rassistische Schikane zur Folge haben kann. Wer geduldet wird, bekommt 80 % vom Existenzminimum. Verlassen kann der Ausländer seine Klasse je nach Schicht unterschiedlich schlecht. Viele Ausländerschichten können die Polizei überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Sexuelle und andere Ausbeutung ist die Folge. Diese Ausbeutung stützt weite Bereiche der Dienstleistungsbranche in Europa.
 

Fazit

Man sieht an diesem Schema, daß Mitglieder höherer Klassen mehr Einfluß auf die Politik und mehr Möglichkeiten haben und unter deutlich besseren Lebensbedingungen leben. D. h.: Je niedriger die Klasse ist, desto geringer ist der gesellschaftliche Einfluß und auch die Möglichkeit Rechte wahrzunehmen. Teilweise ist sogar das formale Recht selbst ein gänzlich anderes, als das praktische Recht. In den niedrigsten Klassen ist die Gesundheit gefährdet.
Höhere Klassen beuten niedrigere Kassen aus. Der Klassenabstieg wäre immer möglich – besonders in den niedrigsten Klassen, der Klassenaufstieg ist schwierig und meist nur durch Heirat möglich.
 
Da sich nicht nur die Lebensbedingungen, sondern auch die Einflußmöglichkeiten und die Rechte, der Klassen gravierend unterscheiden, eine Fluktuation zwischen den Klassen gering ist und die Trennung der Klassen durch die Gesellschaft geprägt und durch die Politik unterstützt wird – ist die BRD-Gesellschaft eine Klassengesellschaft.
 

Anmerkung

Die hier aufgezählten Klassen sind keine Klassen in marxistischem Sinne. In marxistischem Sinne gibt es die Klasse derer, die die Produktionsmittel besitzen – die herrschende Klasse, das sind hier die oberen beiden und die Klasse derjenigen, die dadurch in Lohnabhängigkeit oder Elend geraten – die Arbeiterklasse, das sind hier die unteren vier. Es ging in diesem Artikel nur darum, die prinzipielle Undurchlässigkeit der Klassengrenzen, und die praktische Bedeutung, sowie den rechtlichen Status der einzelnen Schichten klar zu machen.

[Evariste]
 

1 Die marxistische Definition kommt erst in höheren Linksleveln.
2 Diese Mittelschichten unterscheiden sich beträchtlich, hier geht es jedoch nur um den Beweis einer Klassengesellschaft.
3 Zu DDR-Zeiten war der Klassenkompromiß in der BRD noch in Ordnung.
4 Existenz-Minimum + 1 € pro Stunde
5 Eigentlich muß von mehreren Ausländerklassen gesprochen werden, da sich ihr rechtlicher Status z. T. erheblich (um Leben und Tod) unterscheidet.

Von Evariste

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