Di. Mrz 19th, 2024

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Physikalische und chemische Barrieren

Hygiene — die physikalische Barriere
Nach der Überwindung der Humorallehre und der Entdeckung der Mikroorganismen begann die Geschichte der Hygiene, die bis heute eine beispiellose Erfolgsgeschichte ist. Mit der Verbannung von Unrat aus den Innenstädten, dem Bau von Kanalisationen, mit der Waschung, Reinigung von Kleidung und Lebensmitteln wurden die Menschen gesünder und schöner. Eine große Zahl von schmutzbedingten Erkrankungen konnte vermieden werden. Bis heute, konnte die Hygiene selbst stark verbessert werden. Mit der Einführung von Waschmaschinen und Staubsaugern nach dem zweiten Weltkrieg und mit der Einführung von Geschirrspülmaschinen konnte der Arbeitsaufwand für täglich zu verrichtende Hygienemaßnahmen deutlich reduziert werden. Lebensmittel wurden in Kühlketten und mit CO2 haltbar gehalten. In den 80ern des 20. Jahrhds. kamen extrem saugfähige Toilettenpapiere, Windeln und Wischtücher mit Superadsorbern auf den Markt. Die Verfügbarkeit von Wassertoiletten und Duschen liegt in Mitteleuropa über 98 %. Diese Maßnahmen und Entwicklungen haben die Gesundheit und die Lebenserwartung erhöht. Durch Aufheizen und Abkochen konnten resistente Gegenstände sterilisiert werden.
 

Chemische Barriere
Aufgezählt wurden hier jedoch nur die physikalischen Maßnahmen zur Verringerung der Mikroorganismenexposition. Gleichzeitig gab es auch chemische Maßnahmen. Diese bestehen aus der Entwicklung von Antibiotika beginnend mit Penicillin und anderen natürlichen zunächst aus Pilzen extrahierten Anti-Bakterienwaffen, später dann aus teil- und vollsynthetischen Antibiotika, aus Fungiziden gegen Pilzinfektionen, aus Konservierungsstoffen zur Haltbarmachung verderblicher Lebensmittel sowie den Desinfektionsmitteln welche meist ätzend und oxidierend daherkommen.
Wir unterscheiden im folgenden zwischen einer physikalischen und einer chemischen Barriere.

Die chemische Barriere bewirkte, daß man über ein halbes Jahrhundert lang viele Sorten von Infektionen sicher bekämpfen konnte. Im Falle von Bakterieninfektionen sind Antibiotika meist die einzigen sicheren Waffen.

 

Antibiotika und Antibiotikaresistenz

Die frühesten Antibiotika, wie das Penicillin und seine Derivate sind längst nicht mehr in Gebrauch. Ohne, daß man darüber viele Worte verloren hätte, hat man auf neue Antibiotika zurückgegriffen, da die Natur selbst ein gewisses Arsenal an diesen Stoffen zur Verfügung stellt. Man konnte “alte” Antibiotika durch neue ersetzen. Zunächst wurde auch gar nicht bemerkt, daß die alten Antibiotika unwirksam wurden. Man ersetzte einfach die alten durch bessere. Allerdings blieb letztlich nicht unbemerkt, daß durch die Praxis der Anwendung ganze Stoffklassen unwirksam wurden. Leider hat diese Tatsache viele Jahrzehnte lang nicht zum Nachdenken geführt.
Das Auftreten multiresitenter Tuberkulosestämme in den 90ern, das wahrscheinlich eine Folge des Zusammenbruches der Sowjetunion und ihres Gesundheitssystems war, brachte die ersten Wissenschaftler zum Nachdenken. Erste Warnungen vor Tuberkulose wurden formuliert. Es brauchte jedoch noch weitere zehn Jahre und das Auftreten von multiresistentem Staphylococcus Aureus, um die Debatte auf ein prinzipielles Mißverhältnis des Menschen zu seiner chemischen Mikroorganismenkeule zu lenken. Heute wird nicht nur vor Antibiotikamißbrauch gewarnt, sondern werden auch die Hygienebestimmungen von Krankenhäusern überarbeitet. Dabei wird wieder einiges falsch gemacht. – Dazu später!
Da viele Antibiotika heute nur noch künstlich und ohne natürliche Vorbilder sind, hat sich die Geschwindigkeit der Antibiotikaentwicklung verringert.
In der Vergangenheit und in den meisten Teilen der Welt – bis heute – wurden Antibiotika auch in der Tiermast eingesetzt, da die prophylaktische Gabe von Breitbandantibiotika Energie spart und so ein schnelleres und profitableres Wachstum ermöglicht. Insbesondere die Massentierhaltung, bei der Keime eine extrem günstige Ausbreitungsdynamik haben, hat die Entstehung von Resistenzen um viele Größenordnungen beschleunigt.
Profitgier und Dummheit führten zu einem Anwendungsexzeß, der uns in die Situation gebracht hat, daß wirksame Antibiotika heute schneller verschwinden, als neu entwickelt werden. Antibiotikaresistenzen sind eine Folge der Kapitalverwertungslogik, die diesen Planeten beherrscht.
Diese Resistenzen schlagen uns wichtige Waffen im Kampf gegen Mikroorganismen aus der Hand.
Schon die Geschichte der Herbizide und Insektizide (die noch nicht zu Ende ist) ist eine der selbstgemachten Katastrophen. Bei Bakterien wird weit tiefer eingegriffen.
Die Natur wird zurückschlagen. Bei den Bakterien wird der Schlag nachhaltiger und furchtbarer sein, als bei Unkräutern und Insekten.

 

Antibiotikaanwendung der Zukunft

Antibiotika müssen in Zukunft streng zielgerichtet und möglichst tödlich für die jeweiligen Mikroorganismen eingesetzt werden. Sie müssen unbedingt vorschriftsmäßig angewandt und zu ende genommen werden. Selbst, wenn diese Maßnahmen eingehalten werden, können Mikroorganismen, gegen die sich ein solches Antibiotikum nicht richten sollte, Resistenzen entwickeln. Ist eine solche Resistenz entstanden, kann sie auf andere Bakterien übertragen werden, da Bakterien artübergreifend Gene austauschen. Wichtig ist daher stets für eine tödliche Konzentration zu sorgen, sowie dafür, daß die Mikroorganismen nicht gleichzeitig gefüttert werden. Außerdem muß der Antibiotikaeintrag in die belebte Natur minimiert werden. Antibiotikaanwendung ist in Bezug auf Indikation, Dosierung und Dauer streng zu reglementieren. Für eine Antibiotikaanwendung, falls es nur noch höchstens drei Substanzen zur Bekämpfung eines Organismus gibt, sollte eine besondere Genehmigung und Beaufsichtignung erforderlich sein. Verstöße gegen dieses Prinzip müssen strafrechtlich geahndet werden.
Ein wirklich adäquater Umgang mit Antibiotika existiert bisher noch in keinem einzigen Land. Antibiotikamißbrauch muß weltweit verboten und durch internationale Abkommen abgesichert werden. Es geht nicht, daß einige Länder Mißbrauch verhindern, während in anderen weiter Resistenzen entstehen.
Der wichtigen mengenmäßigen Reduzierung von Produktion und Anwendung stehen die Profitinteressen der privaten Pharma- und Chemieindustrie entgegen. Ihnen muß weltweit die Genehmigung zu Herstellung und Vertrieb entzogen werden.
Der Kampf um die chemische Mikroorganismenbarriere ist entbrannt. Wir dürfen ihn nicht verlieren!

 

Desinfektionsmittel

Es muß daher bereits angenommen werden, daß die heute bekannten Antibiotika zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr verfügbar sein werden. Man wird dann auf Prävention und Desinfektionsmittel zurückgreifen. Desinfektionsmittelresistenzen bilden sich etwas schwerer, sind jedoch ebenfalls denkbar. Es gibt heute bereits krankenhausresistente Keime.
Daher müssen vorbeugend einige wenige Regeln beachtet werden. Desinfektionsmittel dürfen nicht zur Desinfektion von Schmutz, sondern nur zur Desinfektion sauberer Oberflächen verwandt werden. Die Zahl der zu bekämpfenden Mikroorganismen reduziert sich dadurch um viele Größenordnungen. Die Anwendung von Desinfektionsmitteln in Fitnessstudios, und in Privathaushalten gehört verboten. Besonders pervers ist die Desinfektion von Toiletten. Toiletten müssen gereinigt, aber nicht desinfiziert werden. Desinfektionsmittelmißbrauch ist ebenfalls unter Strafe zu stellen.
Eine bedenkenlose Anwendung auch dieser Waffen gegen Mikroorganismen, kann angesichts der rasch zurückweichenden Front nicht mehr zugelassen werden.

Für den Fall, daß viele Mikroorganismen gegen Antibiotika und gegen Desinfektionsmittel resistent werden, bleiben nur noch physikalische Barrieren. Abbrühen, Waschen mit Tensiden, Abreicherungsspülen und Bestrahlen, und im Infektionsfall Isolation und Quarantäne werden die Mittel sein, wenn die chemische Barriere versagt. Insgesamt wäre es ein Rückfall um hundert Jahre. Handelt man weiter so, ist das eine Zeitbombe.

 

Neue Antibiotika

Man kann natürlich die belebte Natur – insbesondere die Pilzwelt nach neuen Antibiotika scannen. Das beschleunigt das Auffinden weiterer Antibiotika. Mittlerweile sind jedoch schon sehr viele natürliche Antibiotika und ihre Derivate verbraucht. Dabei muß auch an die Natur gedacht werden. Jeder natürliche Stoff, der durch ungerichteten Masseneinsatz verbraucht wird, geht auch der Natur verloren. Resistenzen gegen natürliche Antibiotika können das Verschwinden von Arten – und mit ihnen – vieler unerforschter Substanzen zur Folge haben. Daher sollte versucht werden, völlig neue Antibiotika zu finden, und die gefundenen möglichst lange als Reserve vorzuhalten. Dazu ist die Pharmaindustrie weltweit zu verstaatlichen – Profitinteresse völlig auszuschalten, denn schon vor über 25 Jahren kam ein Dr. Hessabi auf die irre und kriminelle Idee, Schädlingsbekämpfungsmittel auf der Basis menschlichen Ohrenschmalz’ zu erzeugen.
Sollte man in Zukunft noch über ausreichend Antibiotika verfügen, sollte man die letzten Antibiotika so kombinieren, daß ein bestimmter Organismus zielgerichtet immer durch mehrere Antibiotika gleichzeitig bekämpft wird. Das geht aber nur, solange es hier noch keine Resistenzen gibt. Antibiotikareste sollten nicht in die belebte Natur gelangen.

 

Katastrophenregeln

Theoretischer Teil

Was passiert, wenn man Antibiotika für Tiere verwendet?

  1. Die hierdurch massenhafte und unregulierte Verwendung erzeugt Resistenzen.
  2. Nachdem die Für Tiere verwandten Antibiotika unwirksam geworden sind werden die Menschen verzweifelt dazu übergehen, natürlich vorkommende Antibiotika in Form von Lösungen oder Extrakten ineffizient und exzessiv anzuwenden. Dadurch werden auch Schutzmechanismen anderer Arten unwirksam.

 

Was passiert, wenn die Konzentration nicht ausreicht oder die Behandlung zu früh abgebrochen wird?

Die Bakterien, die der Konzentration standhalten konnten, überleben und tauschen untereinander genetisches Material aus. Inder nächsten Runde können sie einer erhöhten Konzentration standhalten. Dadurch steigt die Zahl, der mit ihrer Resistenz praktisch experimentierenden Keime stark an. Irgendwann findet ein Keim das Resistenzgen oder eine Kombination von Genen, die es resistent machen.
 

Was passiert, wenn erst einmal ein Resistenzgen existiert?

Liegt die Resistenz gegen ein Antibiotikum auf einem einzelnen Gen, kann es auch zu horizontalen Sprüngen auf völlig andere Bakterien kommen. Entstand die Resistenz bei der Bekämpfung einer bestimmten Erkrankung,kann sie nun auch bei den Erregern anderer Erkrankungen auftreten.

 

Regelteil
Zusammenfassung Erhaltung der chemischen Barriere

  1. Antibiotika nicht für Tiere!
  2. Antibiotika nur in einer tödlichen Konzentration und nicht da anwenden, wo die Bakterien gleichzeitig Futter finden!
  3. Desinfektionsmittel nicht auf Schmutz und nur da anwenden, wo wirklich desinfiziert werden muß! Nur saubere Oberflächen dürfen desinfiziert werden!
  4. Mißbrauch schwer bestrafen!
  5. Neue Antibiotika vorrangig erforschen!
  6. Private Pharmaindustrie verbieten!
  7. Massentierhaltung verbieten (räumliche Isolation erhöhen)!
  8. Antibiotikareste sollten nicht in die belebte Natur gelangen!
  9. Resistenzforschung finanzieren!

 

Politischer Ausblick

Die Problemlage ist derart, daß die notwendigen Maßnahmen nicht ohne Abschaffung des Kapitalismus ergriffen werden können. Ein Verbot profitorientierter Pharmaforschung und -produktion ist unverzichtbar um Reklame für und Absatz von Antibiotika, sowie ihre Indikationslose Anwendung einzudämmen. (»Was ist schlimm an privater Pharmaindustrie?«)
Kommerzielles Interesse und gesellschaftliche Daseinsvorsorge bilden einen Widerspruch. In Anbetracht der Zunahme der globalen Bevölkerungsdichte und der Massentierhaltung, sowie der derzeitigen Macht der transnationalen Pharmakonzerne könnte sich eine Situation entwickeln, in der die Eigentumsfrage an Patenten und Produktionsmitteln zur Gattungsfrage wird.
 
[Evariste]

Von Evariste

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